Diese Übung steht exemplarisch für die in diesem Buch vorgestellte Methode: Sie verbindet bewusste Wahrnehmung mit spieltechnischer Steuerung und macht unmittelbar erfahrbar, wie gering der Luftbedarf beim Trompetenspiel ist – wenn die Zunge effizient arbeitet.
Ein kleines Stück Papier – etwa 2,5 × 2,5 cm – wird auf Mundhöhe an eine Wand gehalten. Der Schüler nimmt ein Trompetenmundstück verkehrt in den Mund, also mit dem Schaft zwischen den Lippen. Wird nun Luft hindurchgeblasen, entsteht ein schmaler, gebündelter Luftstrahl, der das Papier an der Wand haften lässt. Dabei wird gezielt ausprobiert, wie stark die Luft reduziert werden kann, ohne dass das Papier von der Wand fällt – diese minimale, aber effektive Luftmenge dient als Referenz für den nächsten Schritt.
Diese Situation schafft ein klares Ausgangsgefühl: Die nötige Luftmenge ist gering, aber gezielt. Der Luftstrahl fühlt sich sanft an ist aber dennoch zentriert. – das Resultat ist eindeutig: Das Papier bleibt haften.
Im zweiten Schritt wird das Mundstück beiseite gelegt und derselbe Versuch mit dem Flüstern der Silbe „pü“ wiederholt. Dabei ersetzt die Zunge die Düse des Mundstückschafts: Der Zungenrücken formt ein „ü“, während die Zungenspitze locker am oberen Rand der unteren Schneidezähne liegt. Das Unterkiefer bleibt dabei entspannt und „fällt“ – nicht durch Bewegung, sondern durch passive Lockerheit, ähnlich wie beim Pfeifen.
Nur wenn der Luftstrahl bei gleichbleibend geringer Luftmenge weiterhin sanft aber klar gebündelt ist, bleibt das Papier an der Wand haften. Der entscheidende Unterschied liegt also nicht im Atemdruck, sondern in der Formung des Luftstroms durch die Zunge. Diese Erfahrung ist zentral: Sie zeigt, dass effektive Tonbildung und Luftökonomie wesentlich durch präzise Steuerung im Mundraum entstehen – nicht durch Kraft.
Im nächsten Schritt wird auf „pü“ eine einfache Melodie geflüstert. (Zur Qualität des „pü" siehe Kapitel 2) Dabei verändert sich die Tonhöhe – die Aufgabe bleibt gleich: Das Papier muss währenddessen an der Wand haften bleiben.
Das gelingt nur, wenn die Tonverbindung als Glissando geführt wird – ohne harte Artikulation, ohne Einzelimpulse. Die Zunge steuert den Luftstrom kontinuierlich und gleichmäßig. Das Legato wird hör- und spürbar. In der Praxis hat sich als Einstieg in diese Übung die Tonreihe g1 – e1 – a1 – (h1 – c2) bewährt. (der Startton kann auch etwas höher sein) In relativer Solmisation lässt sich die Melodie also mit sol – mi – la – (si – do) beschreiben.
Diese Melodie beginnt mit einem spürbaren Abstieg (sol nach mi), der eine deutlich wahrnehmbare Bewegung der Zunge nach unten verlangt. Der anschließende Aufstieg erfordert eine aktive Umkehr dieser Bewegung – eine Bewegung von tief nach hoch im Inneren des Mundraums. Diese gezielte Richtungsänderung macht die Übung besonders effektiv, vor allem als Vorbereitung für das Spiel in der Höhe. Die Folge lässt sich leicht transponieren – etwa bis das „sol“ dem c2 entspricht –, solange die Steuerung erhalten bleibt und der jeweils höchste Ton noch als „ü“ erlebbar bleibt.
Wichtig: Wenn das „ü“ kippt und zu einem „i“ wird, hat sich die Lippenstellung verformt. Das darf keinesfalls geschehen. Die Lippenform bleibt stabil und spitz – ähnlich wie beim Pfeifen. Besonders gut gelingt die Übung jenen, die bereits mit der Bildung der Kardinalvokale nach Malte Burba® vertraut sind. In diesem Fall kann das „ü“ gezielt aus dem „i“ der Kardinalvokale abgeleitet werden – durch gezielte Änderung der Lippenform bei konstanter Zungenhaltung.
Das ist das Ziel dieser Methode: Nicht Kontrolle im Spiel, sondern Wiedererkennen des zuvor Erspürten. Die Trompete wird so zum Spiegel innerer Vorgänge. Das hier verstandene Glissando ist kein Effekt, sondern die hörbare Spur eines durchgehenden inneren Verlaufs. Entscheidend ist nicht der Zielton, sondern die verbundene Linie, an der Luftökonomie unmittelbar erfahrbar wird. Die Zunge führt den Luftstrom kontinuierlich; Artikulationsimpulse unterbrechen den Verlauf nicht. Auf diese Weise wird die geflüsterte Klangidee – als physiologischer Ablauf ohne Instrument – vorweg erfahren und anschließend auf das Instrument übertragen. In Naturtonbindungen zeigt sich das Ergebnis: Gleitet der innere Verlauf, rasten die Töne sicher ein; das Glissando wird unhörbar, bleibt aber spürbar und funktional wirksam.
Diese Übung vereint zentrale Ziele:
Sie ist keine Atemübung im klassischen Sinn, sondern eine Schulung für das, was den Klang tatsächlich auslöst: die gezielte, bewusste Formung des Luftstroms im Inneren. Wer beginnt, das zu spüren, betritt neues Terrain im Trompetenspiel.
Natürlich kann auch jede andere Legato-Melodie auf diese Art erarbeitet werden. Der Tonumfang sollte aber im beschrieben Bereich bleiben. Höhe erzeugen wir daraus im Kapitel 6 „Der Oktavtransfer“
Fußnote2: das ist kein Widerspruch zu Cichowicz´ Erläuterungen nach dem „song & wind Prinzip" sondern eine Ergänzung!