Kapitel 5

Das Dudelsack-Prinzip – Drei Denkmodelle zur Zungenfunktion beim Trompetenspiel

Einleitung: Der Dudelsack als Denkmodell

Der Dudelsack ist ein faszinierendes Blasinstrument, das durch seine Tonerzeugung eine prägnante Analogie für das Trompetenspiel bieten kann: Luft wird in einen Sack geblasen, der als Reservoir dient. Durch gleichmäßigen Druck mit dem Arm strömt die Luft aus dem Sack in Spiel- und Bordunpfeifen, wird an Rohrblättern in Schwingung versetzt und erzeugt Klang. Die Trennung von Luftzufuhr und Tonerzeugung erlaubt einen durchgehenden Ton – unabhängig vom Atem des Spielers.

Dieses Prinzip lässt sich überraschend sinnvoll übertragen – vor allem, wenn die Zunge ins Zentrum rückt. Die geläufigen Parolen „mehr Luft“, „mehr Stütze“ führen in der Praxis – besonders in der Höhe – häufig zu Überdruck, Einengung und Verkrampfung. Was aber, wenn die entscheidende Energie woanders entsteht: – im Mundraum?

Das hier vorgeschlagene Modell stellt die Zusammenhänge auf den Kopf:

Die Zunge „schickt“ die Luft in die Trompete – die Lunge füllt die Luft im Mundraum nur nach.


Diese Sicht entstand aus der Arbeit mit der „Lippe-zu“-Übung: Der Ton wird nicht nur durch den Lippenschluss getragen, sondern wesentlich durch aktive Zungenarbeit (nach vorn-oben). Diese Aktivierung lässt sich über den Tonbeginn hinaus auf gehaltene Töne fortführen. Das Ergebnis ist ein dynamisch wachsender, tragfähiger Ton, geformt durch die kontinuierliche Arbeit der Zunge. Die Lunge übernimmt eine nachgelagerte Aufgabe: Sie liefert nach, damit im Mundraum ein konstanter Vorrat bleibt. Das Empfinden von „Stütze“ folgt aus dieser Dynamik – nicht umgekehrt.

Zur Orientierung am Leitbild – die Zuordnung der Rollen: Was entspricht beim Trompetenspiel dem Arm des Dudelsackspielers? Die Zunge. Was entspricht dem Beutel? Der Mundraum. Wer füllt nach? Die Lunge. Das Konstrukt bleibt einfach: Zunge steuert und formt die gerichtete Energie; die Lunge füllt nach; die Lippe antwortet; das Kiefer bleibt locker.

Drei Denkmodelle – Drei Bilder

1. Die Fahrradpumpe – Energieübertrag durch den Kolben

Eine Luftpumpe macht das Prinzip anschaulich: Der Kolben setzt an, im Zylinder baut sich Druck auf, die Luft erhält Impuls und verlässt den Schlauch. Übertragen in den Mundraum: Die Zunge übernimmt die Rolle dieses Kolbens.

Zwei Übungen, die sich beim Erlernen der Zirkularatmung bewährt haben, zeigen das unmittelbar:

Wasserspucken: Die Zunge presst Wasser als kurzen, gebündelten Strahl durch die Lippen. Der Impuls entsteht durch die Zunge im Mundraum – nicht durch „mehr Blasen“.

Mundhöhlentöne: Dasselbe Prinzip mit Luft – gewissermaßen Wasserspucken ohne Wasser. Die Töne entstehen ausschließlich aus der im Mundraum gespeicherten Luft, also ohne Lungenbeteiligung; sie sind kurz, intensiv und können – bei entsprechender Übung – bis in hohe Lagen (durchaus bis c3) reichen. (Mundhöhlentöne = Wasserspucken mit Luft.)

Beides zeigt unmissverständlich: Die Zunge kann eigenständig Luftimpulse erzeugen und zielgerichtet in Richtung Lippe/Trompete schicken.

 

2. Die „verschlossene“ Fahrradpumpe – Arbeit gegen Widerstand

Was geschieht, wenn der Auslass de Luftpumpe (gedanklich) verschlossen ist? Der Kolben arbeitet weiter – gegen anstehenden Druck. Übertragen: Die Lippen bilden zwar keinen Totalverschluss, sondern eine kontrollierte, schwingungsfähige Engstelle (Ventilfunktion). Die Zunge arbeitet aber dennoch gegen einen Gegendruck, klein in der Bewegung, gerichtet in der Wirkung. So entstehen stabile Töne, gesteuerte Dynamik und die für jede Tonlage nötige Energie – bei locker bleibendem Kiefer.

 

3. Der Dudelsack – Zunge als Auslöser, Lunge als Nachlieferant

Hier schließt sich der Kreis: An der Lippe als Ventilstelle entweicht im Gegensatz zur verschlossenen Luftpumpe zwar kontinuierlich Luft, aber der Mundraum wird durch die Lunge beständig nachgefüllt! – Der „Beutel“ bleibt unter Druck! Genau deshalb kann die Zunge wie der Kolben einer verschlossenen Pumpe wirken: Sie bringt Energie auf die Luft, ohne große sichtbare Bewegung; die Spannung wird mit minimaler Wegstrecke getragen. Beim Dudelsack hält der Arm mit kontrolliertem Druck den Klang – der Beutel wird vom Atem des Dudelsackspielers nur nachgefüllt. Übertragen heißt das: Die Lunge füllt den Mundraum mit Luft, die Zunge aber ist der Arm, der durch kontrollierten Druck den Ton erzeugt. Tonbildung beginnt nicht mit „Stützen“, sondern mit Zungenarbeit; die Lunge folgt. Das Kiefer bleibt locker und gibt Raum; die Lippe antwortet als reaktives Element.

 

Effekt und Fazit

Klangzuwachs, Stabilität und Registeröffnung entstehen aus Zungenführung.

Die Energie wird im Mundraum aufgebaut und gerichtet; das Kiefer bleibt offen, die Lippe antwortet. Bemerkenswert ist, dass sich eine mühelose, feine und sehr präzise Artikulation am Phrasenbeginn einstellt. Oft ist das der erste Hinweis, dass die Methode zu fruchten beginnt!


„Stütze" ist hier Ergebnis, kein zu aktivierender Mechanismus, sondern ein Resultat.

Stütze stellt sich ein, wenn die Luftsteuerung stimmt – die Zunge formt und beschleunigt, die Lunge liefert nach, das Kiefer gibt Raum. In dieser Ordnung wird der Apparat von selbst tragfähig; das, was als „Stütze" empfunden wird, ist die Wirkung eines balancierten Systems, nicht deren Ursache. Das Dudelsack-Leitbild erleichtert genau diese Balance und nimmt überflüssige Spannung aus dem Spiel. Alle zuvor eingeführten Übungen gewinnen unter dieser Perspektive spürbar: Sie greifen schneller, klingen natürlicher und zeigen, dass Ökonomie und Tonbildung aus der Steuerung im Mundraum erwachsen – nicht aus zusätzlichem Druck.

 

Kapitel 6

 

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